Berliner Zeitung (2), 21.02.2011

Treptow

Kein Platz zum Ankern

Petra Voerste mit Baldur, ihrem sieben Monate alten Sohn, am Küchenfenster der "Torgau". Noch liegt das Hausboot in Treptow, doch dort muss es weg. Foto: Gerd Engelsmann
Petra Voerste mit Baldur, ihrem sieben Monate alten Sohn, am Küchenfenster der „Torgau“. Noch liegt das Hausboot in Treptow, doch dort muss es weg.

von Karin Schmidl

Am schönsten ist es abends, sagt Petra Voerste. Wenn die Tageshektik vorbei ist, die Kinder im Bett liegen und die Wellen leise gegen die Wand am Wohnzimmer schwappen. „Dann spüre ich, dass wir damals alles richtig gemacht haben“, sagt die 39-Jährige. Damals , das war vor zehn Jahren, als Voerste und ihr Mann sich entschlossen, ihre Wohnungen in der Stadt aufzugeben und auf ein Hausboot zu ziehen. Seither liegt ihre „Torgau“, ein ehemaliges Werfthüttenschiff für Bauarbeiter, an der Spree im Treptower Hafen. Petra Voerste lebt dort mit ihrem Mann, drei Kindern und ihrer pflegebedürftigen Mutter.

Es ist ziemlich eng im Schiff, das zwar 30 Meter lang, aber nur fünf Meter breit ist. Auf 120 Quadratmetern verteilen sich sechs kleine Zimmer, das Wohnzimmer als größtes misst 20 Quadratmeter. Hinzu kommen Küche, Toiletten, Bad. Geheizt wird über eine Ölzentralheizung, ein Kaminofen sorgt für zusätzliche Wärme. Die „Torgau“ liegt Bug an Heck mit neun anderen Hausbooten, die Namen tragen wie „Aurora“, „Alfred“, „Risiko“ oder „Havelschwan“. An einigen Fenstern hängen Spitzenvorhänge, von Blumenkübeln grüßen Gartenzwerge, fast überall lehnen Fahrräder an den Wänden. Die Bewohner sind Lehrer, Mechaniker, Musiker, eine Psychologin ist darunter, ein Fotograf und ein Verwaltungsangestellter. „Uns alle eint die Liebe zum Wasser und zur Natur“, sagt Petra Voerste, die Architektur studiert hat.

Doch die Tage der Hausboote in Treptow sind vorüber. Die Stern und Kreisschifffahrt hat die Nutzungsverträge gekündigt. Wegen Eigenbedarfs, wie Geschäftsführer Horst Meier knapp erklärt. Mehr will er dazu nicht sagen, es laufen Räumungsklagen vor Gericht. Die erste soll im April vollstreckt werden. Gekündigt wurden alle vier Stege, an denen die Boote festgemacht sind, Stromanschluss und Wasserfläche. Die Boote gehören den Bewohnern.

Alle fünf Jahre zum Schwimm-Tüv

Sie wären gern geblieben, sagt Petra Voerste. Ihre beiden älteren Kinder, drei und fünf Jahre alt, besuchen eine nahe gelegene Kita, auch der Sportverein ist in der Nähe. Auf eine Zwangsräumung will es niemand ankommen lassen, aber: „Wir finden einfach keine Liegeplätze.“

Die Zahl der Hausboote an Berlins Gewässern wird auf etwa 50 geschätzt. Genaue Zahlen hat niemand. 50 sind wenig, wenn man bedenkt, dass Berlin fast so viel Wasserfläche hat wie Venedig und sich auch damit rühmt. Doch der Werbeslogan „Wohnen auf dem Wasser“ gilt vorrangig für sogenannte Floating Homes – schwimmende Häuser, von denen jedes rund eine halben Million Euro kostet. Wohnschiffe, wie sie in Amsterdam zum Stadtbild gehören und auch in London oder Paris für Flair sorgen, sind in Berlin kein Thema. Bei der Senatsumweltverwaltung wird zwar auf Standorte am Rummelsburger See und an der Oberhavel in Spandau verwiesen. Aber, so eine Sprecherin: „Hausboote sind dort nicht vorgesehen.“ Die beiden einzigen offiziellen Liegeplätze sind der Kolk nahe der Schleuse Plötzensee und der Landwehrkanal in Tiergarten. Sie werden vom Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) vermietet. Freie Plätze gibt es dort keine, dafür eine lange Warteliste. Offenbar ist das Leben auf dem Wasser für immer mehr Menschen eine Alternative. So wie für Petra Voerste und ihren Mann: „Wir hatten den Lärm und den Hundedreck in der Stadt satt. Jetzt genießen wir es, wenn das Boote leise im Wind schaukelt oder im Winter das Eis am Bug knirscht.“

Ihren Traum vom Leben in der Natur lassen sich die Voerstes einiges kosten. Allein in den Umbau des alten Schiffes, das sie für rund 35.000 Euro und damit noch relativ preiswert kauften, haben sie rund 50.000 Euro investiert. Dafür gibt es auf der „Torgau“ unter anderem Parkett im Wohnzimmer, eine Fußbodenheizung in Küche und Bad sowie ein Sicherheitsgeländer auf dem bepflanzten Dachgarten. Demnächst soll eine Solarstrom-Anlange installiert werden.

450 Euro machte bislang die monatliche Pacht aus, Strom, Heizung und Wasser nicht eingerechnet. Alle drei Monate wird der Frischwassertank aufgefüllt und der Abwassertank geleert. Pro Kubikmeter werden dafür 17,55 Euro berechnet. Alle fünf Jahre muss das Hausboot zudem zum Schwimm-Tüv. Dabei wird der Stahlkorpus abgestrahlt, neu gestrichen und mit Ultraschall auf Schwachstellen geprüft. Das Schleppen ins Trockendock nach Rummelsburg und die Arbeiten dort kosten bis zu 3000 Euro.

Dass Berlin sich mit Hausbooten so schwer tut, hat mehrere Gründe. Der eine ist, dass die unterschiedlichsten Behörden dafür zuständig sind. So prüft das WSA, ob der Schiffsverkehr durch Liegeplätze gestört wird. Das ist noch das einfachste. Kompliziert wird alles Weitere. Dann geht es darum, wem ein Steg oder eine Uferkante gehört, wer für die jeweilige Wasserfläche zuständig ist, wie die Boote befestigt sein sollen – im Wasser an Pfählen oder direkt am Ufer. Die Bezirke dürfen nur über Sportboot-Anleger entscheiden, größere Stege sind Senatssache. Auch die Fischereibehörden müssen gehört werden.

Seit der Kündigung haben Petra Voerste und ihre Nachbarn, die gern als Gruppe zusammenbleiben möchten, es an etlichen Orten versucht. Überall wurden sie abgelehnt. Jedesmal hörten sie, Hausboote seien nicht erwünscht, sie störten öffentliche Uferwege und Grünanlagen. Demnächst sind sie zu Gesprächen im Köpenicker Rathaus. Vielleicht ist es ja ihre Chance, dass im September Wahlen sind und sich Politiker ungern mit einer zwangsgeräumten Familie in Verbindung bringen lassen wollen.

Hausboot-Bewohner Jens Mosses hat für solche Schwierigkeiten jedenfalls nur eine Erklärung: „Berlin hat genügend Plätze am Wasser, aber noch viel mehr Querköpfe in den Verwaltungen, die einfach nicht wollen.“ Mosses, der lange Petra Voerstes Bootsnachbar war, hat sein Zuhause jetzt nach Spandau schleppen lassen, in eine private Marina. Dort gab es aber nur einen Platz.

Berliner Zeitung, 21.02.2011

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