Berliner Morgenpost, 24.02.2011

Vom Leben auf dem Wasser

Familie Voerste wohnt seit zehn Jahren auf einem Schiff im Treptower Hafen. Doch jetzt soll die „Torgau“ verschwinden

VON MICHAEL BEE

Im vergangenen März ist die Katze über Bord gesprungen und ertrunken. Bei Oktoberstürmen fällt schon mal ein Glas aus dem Regal. Alle paar Jahre macht das schwimmende    Eigenheim    einen    Pflichtbesuch auf dem Trockendock. Alltag für Familie Voerste. Mit ihren drei Kindern, ihrem    Mann    Jochen,    ihrer    pflegebedürfti- gen Mutter und zwei Katern lebt Petra Voerste auf der „Torgau“ im Treptower Hafen. Doch das Wohnschiff soll verschwinden. Denn das Schifffahrtsunternehmen Stern und Kreis hat für Steg und Ufer Eigenbedarf angemeldet. Jetzt sind Familie Voerste und zwölf weitere Bootsbesitzer auf der Suche nach neuen Liegeplätzen.

„Beim Auszug aus einer Mietwohnung packt man einfach seine Koffer“, sagt die 39-jährige Petra Voerste. Doch bei einem 32 Meter langen und 80 Tonnen schweren Schiff sei das nun mal nicht so einfach. Der Kahn ist nicht motorisiert, ein Schlepper muss das Wohnschiff aus dem Hafen schieben. Eine Genehmigung für die Umsetzung gibt es nur, wenn zuvor ein neuer Liegeplatz ausfindig gemacht wird. Und diese Liegeplätze sind in Berlin knapp.
Zwangsvollstreckung droht
Die Nutzungsverträge der kleinen Schiffskolonie wurden im vergangenen Jahr ge- kündigt, noch im April soll die erste Zwangsräumung vollstreckt werden. Nachbarin Sylvi Finger habe für ihr Wohnschiff „Alfred“ den Termin schon erhalten. Petra und Jochen Voerste rechnen täglich mit einem Schreiben. „Wir hoffen immer noch, dass wir das anders gelöst kriegen“, sagt Jochen Voerste. Dem Wasser- und Schifffahrtsamt habe man mehrere Ausweichliegeplätze vorgeschlagen, diese würden nun geprüft.
Ein mögliches Ziel der Wohnschiffer: Die ganze Kolonie mit insgesamt 13 Schiffen    könnte    f lussaufwärts    in    Richtung    Köpenick ziehen. Doch die Prozedur ist bü- rokratisch sehr kompliziert. Verschiedene Behörden müssen zustimmen, der Schiffs- verkehr darf nicht gestört werden, Grundstücks- und Stegeigentümer müssen ihre Erlaubnis erteilen. Ob sich in Berlin überhaupt ein geeigneter Ort für die Kolonie finden könnte, ist völlig unklar. Daher hoffen die Voerstes, dass die Stern und Kreis, deren    Ausf lugsschiffe    nur    hundert    Meter entfernt liegen, ihre Pläne nochmals über- denkt. Gegenüber der Berliner Morgenpost wollte sich Geschäftsführer Jürgen Loch mit Verweis auf das schwebende Verfahren nicht äußern.
Seit rund zehn Jahren liegt die „Torgau“ fest vertäut im Treptower Hafen. Ein Gartentor  mit Briefkasten gibt Einlass zum Steg, Strom- und Telefonkabel führen vorbei am Nachbarschiff „Aurora“ zur Heimstätte der Voerstes. 120 Quadratmeter be- trägt die Wohnfläche, der Kahn ist allerdings nur fünf Meter breit. Ein langer Flur führt in das Wohnzimmer. Links und rechts, in den ehemaligen Mannschaftsko jen des Bauhüttenschiffs, befinden sich Kinder-, Arbeits- und Schlafzimmer. Sogar für ein Klavier ist Platz. Am Heck öffnet sich der Flur zur ehemaligen Offiziersmesse. Dort ist das lauschige Wohnzimmer mit Kaminofen.
„Natürlich haben wir Festnetztelefon“, beantwortet Jochen Voerste die Frage, die Freunde und Arbeitskollegen immer als erstes stellen. Auch einen Internetzugang gibt es an Bord, genau wie einen Fernsehanschluss und andere Annehmlichkeiten einer ganz normalen Wohnung. Obwohl draußen ein eisiger Februarwind über das Wasser jagt, ist es drinnen mollig warm – dank einer Ölzentralheizung, die die niedrigen Räume rasch auf Temperatur bringt. Den Kindern Baldur (sieben Monate), Odilo (3) und Etmia (5) fehlt es an nichts, was Altersgenossen nicht auch hätten. „Nur mit dem Stauraum ist es etwas schwierig“, sagt der 43 Jahre alte Tontechniker. Besonderer Vorteil für Hausfrau Petra Voerste: Der Fensterputz entfällt. Denn Ehemann Jochen setzt sich alle paar Wochen ins Beiboot und spritzt die 16 Fenster einfach ab.
Unbezahlbarer Blick auf die Spree
Bescheiden und zweckmäßig ist das Leben an Bord. Die „Torgau“ hat wenig gemein mit den „Floating homes“ – schwimmenden Einfamilienhäusern, die schon mal Millionen Euro kosten. „Uns ist der Schiffscharakter wichtig“, sagt Petra Voerste. Unbezahlbar ist der Blick auf die Spree. In der Ferne zuckelt die S-Bahn über    den    Fluss,    Kanufahrer    und    Ausf lugsdampfer ziehen gemächlich vorüber. Wenn ein Eisbrecher oder ein Löschboot vorbeifahren, schwankt die „Torgau“ sanft im Wellengang. Sonst ist vom Wasser kaum etwas zu merken.
„Es ist eine sehr ursprüngliche Lebensweise“, sagt Jochen Voerste. Man sei ganz
nah dran an den Jahreszeiten. „Im Winter ist das Wasser spiegelglatt, leichter Nebel liegt auf der Spree, und dann geht die Sonne auf “, beschreibt er seinen Lieblingsmoment. Fische wie Rotfedern würden in Gruppen um das Schiff herumschwimmen, statt Hunde schlagen Enten Alarm, sobald man den Steg betritt. Im Sommer, wenn die Promenade am Treptower Park ein    beliebtes    Ausf lugsziel    ist,    machen    es sich die Voerstes auf dem üppigen Sonnendeck im Strandkorb gemütlich. Der Traum vom Wohnschiff habe schon immer in seinem Kopf herumgespukt, sagt Jochen Voerste. Dann habe ihm ein alter Freund einen Kahn angeboten. „Ein Wink mit dem Zaunpfahl“, sagt er. Eine willkommene Abwechslung sei das gewesen, nachdem er schon in einer Pankower Altbauwohnung und in einer Dachgeschosswohnung in Tiergarten gelebt habe. Ein Jahr später kaufte er die „Torgau“, die ebenfalls im Treptower Hafen auf einen neuen Besitzer wartete. Für einen Preis von rund 45 000 Euro. Drei Umbauphasen habe die „Torgau“ mittlerweile überstanden, Tausende Euros haben die Voerstes investiert. Möglicherweise waren all die Mühen umsonst, sollte es tatsächlich zu einer Räumung kommen. „Man kann den Kahn nicht einfach am Ufer stehen lassen“, sagt Jochen Voerste. Findet die Familie keinen neuen Hafen, endet das Wohnschiff auf dem Schrottplatz.
Die Treptower haben die Hoffnung, dass sie gemeinsam einen neuen Standort finden. Ein Angebot kam Ende vergangenen Jahres aus Spandau, doch der Platz hätte nicht für alle Schiffe gereicht. Also wird weiter gesucht und weiter verhandelt. Noch geben die Hausboot-Bewohner in Treptow nicht auf.

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